Sie hatte auch Angst davor, was sie in Aymân erwartete, denn neben den Geschichten, die ihr häufig zu Ohren kamen, machte sie Dubhs ernster Hinweis noch nervöser. Die Stadt sah wirklich sehr beschaulich aus, wie er gesagt hatte, aber ohne das ständige mulmige Gefühl in der Bauchgegend wäre sie sicherlich beschaulicher gewesen. Immer wieder, vor allem am Abend in einem der Gasthäuser, das sie nach ihrer Ankunft in der Stadt aufsuchten, um sich aufzuwärmen und zu stärken, sah sich Eleah immer wieder bemüht unauffällig um, als würde sie damit rechnen, dass hinter jeder Ecke ein Meuchelmörder lauerte. Entsprechend angespannt und wortkarg war sie, da sie sich Dubhs Worte, nichts über sie beide zu erzählen, zu Herzen nahm und entsprechend danach handelte. Entgegen ihrer Erwartung wurden sie jedoch nicht von solchen Leuten behelligt, sondern nur von den aufgeschlossenen Menschen in belanglose Gespräche verwickelt, die ihnen auch in Fadrun hätten begegnen können. Trotzdem war Eleah froh, als sie die Stadt bereits am nächsten Tag hinter sich ließen. Die Flaschen Wein lagerten sicher auf dem Boden eines Schrankes im Inneren des Wagens, den Casper gemächlich gen Westen zog. Sie überquerten den Chabur auf einer alten Brücke und reisten an Ceroans Schild vorbei weiter nach Shuridron.
Eleah hatte in ihrem kurzen Leben schon sehr viele Geschichten gehört und in Situationen wie diesen kamen einem natürlich nur die gefährlicheren ins Gedächtnis, die in denen das Rad der Kutsche brach, weswegen sich in der Nähe befindliche Wegelagerer und Räuber dazu bewegt fühlten, aus dem Dickicht auftauchten, um einen auszurauben und dann nackt sich selbst zu überlassen. Glücklicherweise meinte es das Schicksal besser mit ihnen und ihre Begegnung mit den Räubern vor ein paar Monaten sollte auch vorerst die letzte bleiben. Mit großen Augen fuhren sie an Ceroans Feste vorbei, die in der Ferne erkennbar war, zogen es aber vor, in der Nähe kleinerer Siedlungen und Dörfern nahe der Reisestraße zu übernachten, während sie die längeren Pausen gerne in der Natur verbrachten. So kam es auch mehrmals vor, dass sie bei einer Rast auf einer einsamen Lichtung einschliefen und sich erst später am Tag wieder auf den Weg machten oder spontan bis zum nächsten Tag an dem Platz blieben. Eleah genoss das ungezwungene Reisen und konnte kaum erwarten, was sie fernab der Nordreiche erwartete.
Nach mehr als zweieinhalb Wochen zeichnete sich das Dorf Shuridron am Horizont ab. Eleah freute sich darüber, endlich wieder eine etwas größere Siedlung zu erreichen. Die Zeit mit Dubh verging zwar wie im Flug, aber Eleah war weit mehr Gesellschaft gewohnt als der Raéyun in seiner früheren Zeit. Wo sie sonst ständig von plappernden Durchreisenden umgeben war, wenn sie sich nicht gerade ausnahmsweise zurückzog, begleiteten sie auf dieser Reise lediglich das Geräusch von Caspers stetig vorwärts laufenden Schritte, Luzifers Schnurren sowie Dubhs fröhliche Lieder und verschiedenste Geschichten. Langsam aber sicher sehnte sie sich nach der Zivilisation, an die sich die Halbelfe über Jahre gewöhnt hatte. So schritt sie gut gelaunt in das Gasthaus, das sie am späten Nachmittag am Rande der Kleinstadt betraten, nachdem sie sicher gegangen waren, dass Casper gut versorgt wurde. Bekannte Gerüche und Geräusche umgaben sie sofort als sie den Schankraum betraten, der zwar nicht so gut ausgestattet war, wie die Goldene Brücke, aber seinen eigenen Charme besaß. Ihre Familien hatten ihnen eine großzügige Reisekasse zur Verfügung gestellt - sie sollten ihre Hochzeitsreise ja ordentlich genießen und nicht auf der Hälfte des Weges umkehren müssen -, sodass sie sich ein gutes Mahl gönnten, wie Eleah es von zuhause gewöhnt war. Sie vermisste schon jetzt ihre Eltern und auch Dubhs Familie, aber versuchte zuversichtlich in die Zukunft zu sehen. Schließlich war sie auf dem Weg zu ihrem Vater.
"Ihr seid der Barde, oder?" Der Wirt der Schenke war an ihren Tisch heran getreten, auf dem vor einigen Minuten seine Frau, so vermutete es Eleah, die bestellten Getränke und deftige Speisen abgestellt hatte. Die Stimme des Wirtes verriet seine gute Art und Neugierde. Der Barde. Das klang so, als eile Dubhs Ruf ihm voraus und als wäre er schon erwartet worden. Offenbar mussten sie nichts weiter sagen, denn der Wirt schien sich auch so sicher zu sein, dass er den Richtigen gefunden hatte und überreichte ihnen einen Brief - oder besser gesagt ihr. Eleah hatte sich eben noch eine der kleinen mit Feigen gefüllten Teigrollen gegriffen, in der Annahme, dass er mit Dubh reden wollte. Stattdessen wedelte er mit einem bedeutungsvollen Blick mit dem Brief vor ihrer Nase herum. Eleah wischte sich die fettigen Finger unüberlegt an der bequemen Reisehose ab, die sie trug, und griff neugierig danach. Dubhs Mine diesbezüglich konnte sie jedoch nicht deuten und als er sie aufforderte, ihn ruhig zu öffnen, glaubte sie dem nichtsahnenden Ton in seiner Stimme. Als sie die ersten Zeichen las, wurde ihr wieder bewusst, wie schlecht sie eigentlich im Lesen war. Unbewusst biss sie sich bei dieser Erkenntnis auf die Unterlippe und schaute für einen winzigen Moment über den Brief hinweg zu Dubh. Es war ihr aber unangenehm, dies ihm gegenüber einzustehen, sodass sie sich tapfer hielt und weiterlas. Übung machte schließlich schon immer den Meister.
Es brauchte nicht lange, bis sie die Bedeutung des Briefes erfasst hatte und als klar wurde, wer ihr diesen geschrieben hatte, quietschte sie begeistert auf. "Dubh!" Sie sprang auf und umarmte ihn glücklich, ungeachtet der Gäste, die ihre fragenden Blicke ob so viel Euphorie auf das äußerlich so ungleiche Paar warfen. "Versuche es gar nicht erst zu leugnen!", lachte sie und blickte ihn freudestrahlend an, ehe sie die übrigen Zeilen des Briefes verschlang.
wir vermissen dich und Dubh schon jetzt und hoffen, dass ihr wohlbehalten auf der Festung angekommen seid. Auch in der Goldenen Brücke fehlst du schon, die Durchreisenden fragen schon jetzt, wo du bist und wann du wiederkommst. Wir sollen euch herzlich von Jos und Jerg zu eurer Hochzeit gratulieren.
Ich gönne es dir von Herzen Kind, dass du die Welt bereisen kannst und die vielen schönen Orte zu Gesicht bekommst. Genieße diese Zeit und behalte sie dir in Erinnerung. Unsere Enkel werden eure Geschichten bestimmt sehr gerne hören. Wir wünschen euch eine ruhige Reise und viele neue Eindrücke. Bleibt auf den Wegen und fahrt vorsichtig.
Yieriell, Eve, Lillith, Bodrahn und Fangrul lassen euch grüßen und wünschen euch eine gute Weiterreise. Fangrul versucht sich nichts anmerken zu lassen, aber er ist oft hier und vergräbt sich in seinen Büchern.
In Liebe
Eure Familien