
ie Zeit verging quälend langsam. Als Angus von seinem Ausguck geklettert war, hatte Adraéyu zwar nicht angenommen, dass Benwick kurz darauf aus dem Tor gestürmt wäre, ob die beiden nun in seine Arme zu schließen, oder mit seiner Axt zu erschlagen. Doch dass niemand kam, das war noch zermürbender als die Ungewissheit wie Benwick auf ihre Rückkehr reagieren würde. Adraéyu trat immer wieder von einem Bein auf das andere, um die Kälte, die langsam seine Waden herauf kroch, zu vertreiben. Doch es half nur wenig. »Jetzt hör doch auf, du machst mich ganz krank mit deiner Unruhe.«, zischte Rahela, welcher es sichtlich nicht anders erging. »Ach, du bist diese Kälte ja auch gewöhnt. Sicher hast du Frost und Eis im Blut, so dass nur Wilde wie du sich in so einer Kälte wohlfühlen können.«, gab Adraéyu brummelig zurück. Doch Rahelas beißende Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Er blieb still stehen und zupfte stattdessen an seinem Bart, der sich nach der langen Reise, die sie nun schon hinter sich hatten, zu einer beachtlichen Pracht entwickelt hatte. »Ob Benwick mein neuer Bart wohl gefällt?«, murmelte Adraéyu mehr zu sich selbst, als zu Rahela. Und als ob er nur darauf gewartet hätte, begann der Rabe auf seiner Schulter zu schnarren und mit den Flügeln zu wacheln. »Narr. Narr.« Adraéyu verzog seinen Mund zu einer beleidigten Miene und rollte mit den Augen. »Ja, du mich auch du treuloser Halunke.«
Zu all dem Übel der Warterei und der beißenden Kälte gesellte sich noch die fröhliche Musik, die vom Wind zu ihnen herausgetragen wurde. »Als ob der Wind seine grausamen Scherze mit mir treiben würde …«, murmelte er und ertappte sich dabei, wie seine Hand zu dem Lautenkasten wanderte. »Ich stehe mir die Beine in den Bauch und die Kälte lässt meine Beine zu Eis gefrieren und da drinnen tanzen, lachen und feiern die Menschen. Einen heißen Gewürzwein könnte ich jetzt gut vertragen. Und dazu ein paar Lieder auf der Laute spielen.« Und als ob sein Genörgel endlich erhört worden wäre, öffnete sich schließlich das große, hölzerne Tor und Angus trat zu ihnen auf den Schnee hinaus. »Benwick lässt euch vor.« »Na endlich!«, entkam es Adraéyu, der seine Mühsal kaum noch zu verbergen versuchte. »Ich hatte schon Angst wir würden hier festfrieren.« Angus schien Adraéyu zu überhören und nach einigen, höflichen Wortwechsel hatte er sie auch schon in das Dorf geleitet, wo er hinter ihnen sogleich das Tor wieder verschloss. Zwar kannte auch Adraéyu die meisten Gepflogenheiten der wilden Lande, doch nichtsdestotrotz stimmte es ihn in freudige Erwartung drei ganze Tage in ausgelassenen Feierlichkeiten zu schwelgen und dabei vergaß er schon beinahe, dass sie erst noch vor den Ruka des Faernach-Clans zu treten hatten, um sich seinem Urteil zu stellen. Rahela schien es nicht anders zu ergehen, als sie Angus nach Benwick ausfragte. Doch dieser ließ sich zu keiner eindeutigen Antwort herab. Ob dies nun Gutes oder Schlechtes zu verheißen hatte, wagte Adraéyu nicht sich auszumalen. »Also bringen wir es am besten so schnell wie möglich hinter uns, damit wir wissen wie es weitergeht.«, entschied Adraéyu mit einem grimmigen und entschlossenen Blick, wie ihn nur ein Schausteller aufzusetzen vermochte, dem in Wahrheit die Knie schlotterten. Denn er wusste wie aufbrausend und nachtragend Benwick sein konnte, wenn er wollte. Er erinnerte sich nur allzu gut daran, was er seiner Fürstin angetan hatte, nachdem er erfahren hatte, dass sie ihn betrogen hatte. Und was hatten Rahela und er getan? Ihn verlassen. Ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen. Aber warum machte er sich eigentlich solche Sorgen? Er war nicht die Schamanin des Dorfes. Er hatte das Dorf nicht im Stich gelassen. Er war nur ein Außenseiter. Ein Fremder der zum Freund geworden war. Wenn überhaupt würde Benwicks Zorn Rahela treffen und nicht ihn. Und dieser Gedanke ließ den Barden wieder etwas entspannter werden, nur um sich kurz darauf nur noch schlechter zu fühlen, dass er solche Gedanken im Geiste gesponnen hatte.
Von Angus erfuhren sie auch wessen Hochzeit dies hier eigentlich war. Benwick ehelichte Finna. Die Mutter seiner Bastardbälger, die sie noch im Leib getragen hatte, als Adraéyu und Rahela die wilden Lande verlassen hatten. Es war naheliegend und doch überraschte es Adraéyu in gewisser Weise. Und dass Angus Finna als Hure und ihre Kinder als Bastardbälger bezeichnete unterstrich dies noch mehr. Es war ein gewaltiger Schritt eine Niedere, eine Mätresse, zur Frau zu nehmen. Doch welche Umstände wohl dazu geführt haben mochten, konnten weder Adraéyu noch Rahela wissen. Immerhin waren sie zu lange fort um zu wissen, wie es um den Geldren Clan stand, oder die anderen Clans, die heiratsfähige, hochgeborene Töchter hatten, die Benwick hätte heiraten können. Doch stattdessen hatte er sich für Finna entschieden. Eine Frau aus dem eigenen Clan. Keine gute Partie, wie man so schön sagte. Sie brachte weder Land, noch einen Bund an einen anderen Clan mit sich. Doch auch dieses Geheimnis blieb nicht lange ein solches. Als Angus erzählte, dass der Geldren-Clan gefallen war und die überlebenden Mitglieder sich nun auch hier befanden, fragte sich Adraéyu was wohl sonst noch in diesem einen Jahr vorgefallen war, seit sie verschwunden waren. »Die Neeskia verlässt das Land, und das Land zerfällt.«, murmelte Adraéyu und Thargôn krächzte, als würde er ihm beipflichten. »Kein Wunder, wenn Benwick ungehalten ist, ihr Wilden seid doch sehr abergläubisch was solche Dinge angeht.«, stichelte Adraéyu in gewohnter Manier, um Rahela ihre schroffen Worte zu vergelten, die sie ihm alleine am heutigen Tage schon an den Kopf geworfen hatte. »So, eine Wilde bin ich also nur für dich?«, brummte Rahela und Adraéyu zuckte mit den Schultern. »Eine Frau aus den Wilden Landen bist du.«
Schließlich hatten sie den Weg in Benwicks große Halle gefunden. Der stumme Walder öffnete ihnen die Tür und seine schweigende Gegenwart wirkte auf Adraéyu beinahe beruhigend. Etwas, das sich nicht geändert hatte. Und doch war dies nur die halbe Wahrheit. Er hatte sich verändert. Er war magerer und trug eine rote Narbe im Gesicht. Er war verwundet worden, und das erst vor kurzem, denn die Wunde war noch nicht vernarbt. »Dass etwas den stummen Walder verwunden könnte, beunruhigt mich mindestens genauso wie die Ungewissheit vor Benwick.«, flüsterte Adraéyu, doch diese wusste seine Zweifel geschickt zu zerstreuen. »Weder Angus, noch Walder zürnen uns, das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?« Adraéyu nickte geistesabwesend, auch wenn er darin eigentlich kein gutes Zeichen sehen konnte. »Selbst wenn das ganze Dorf uns nicht zürnen würde ist es Benwicks Zorn der zählt, und niemandes anderen sonst. Wenn er uns fortschickt, dann wird niemand für uns einstehen. Wir sind auf uns alleine gestellt.« Soviel wusste Adraéyu über die wilden Lande. Es war ihr wildes und raues Wesen. Da half auch kein Zauberlied und kein Zauberspruch. Das Wort des Ruka war Gesetz, bis es einen neuen Ruka gab. Und Benwick sah alles andere danach aus, als ob er in nächster Zeit vorhatte zu sterben. Außer man würde die Heirat als den Tod ansehen.
Und so kam es dass Adraéyu, der Zaubersänger und Blutsbruder Benwicks und Rahela, die Neeskia des Faernach-Clans vor den Häuptling eben jenes Clans traten. Voller Ehrfurcht und Respekt, wobei Rahela es hierbei besser verstand ihren Respekt zu bekunden als Adraéyu, welcher sich vor Benwick nur halbherzig zu verbeugen wusste, da er vielmehr damit beschäftigt war die anderen Gesichter zu erspähen und zu erkennen. Doch Finna war nicht hier. Ebensowenig die großen Helden, die er einst in seinem Lied besungen hatte. Lauter Fremde und einer blickte finsterer drein als der andere. »Ich grüße dich, Benwick, Ruka tu Nemia Faernach …« Rahela schien zu bemerken, dass Adraéyu es ihr nicht gleichtat und noch ehe er sichs versah spürte er ihren Ellenbogen zwischen den Rippen und er keuchte erschrocken auf. Doch wieder einmal verfehlten ihre zärtlichen Berührungen ihre Wirkung nicht und nun verbeugte sich auch Adraéyu vor dem Ruka in Ergebenheit, die Adraéyu so befremdlich vorkam, denn war Benwick nicht ein guter, alter Freund? »Ich grüße auch dich, Rahela.« Adraéyu war nicht entgangen, dass er sie nicht bei ihrem vollen Namen angesprochen hatte. Weder den Namen ihres Vaters, noch den Namen ihrer Sippe, noch den Titel, den sie im Faernach-Clan innehatte, hatte er erwähnt. Kein Norrsken, kein Magnusdottir, kein Neeskia tu Nemia Faernach. Vielleicht interpretierte Adraéyu da auch zu viel hinein, doch Rahela hatte ihn doch auch bei seinem vollen Titel angesprochen. »Und ich grüße dich, Arn.« Auch hier, kein Barde oder Charaid. Adraéyus Blick schielte vorsichtig und unheilsschwanger dreinblickend zu Rahela, doch diese hatte nur Augen für Benwick und so richtete auch er seinen Blick wieder auf den Fürsten. Wie würde Benwick wohl erst reagieren, wenn er erfuhr, dass Arn gar nicht sein richtiger Name war? Im grauste bei dem Gedanken daran und unweigerlich wanderte sein Blick zu jenem Balken, in welchen Benwick im Zorn stets seine Axt geschlagen hatte. Viele Kerben zierten das junge Holz, welches so viel heller war als der Rest der Halle, da er erst vor kurzem ausgetauscht worden war. Seine Blicke galten nicht lange Adraéyu, denn er wandte sich kurzerhand wieder Rahela zu. »Ich habe deinen Brief erhalten. Wheoul hat ihn mir brav überbracht. Wie es sich für einen braven Boten gehört.« Er wirkte ernst und in seiner Stimme war nicht einmal der Hauch von einem angedeuteten Galgenhumor. »Ich habe ihn damals verstanden und ich verstehe ihn auch heute noch.« Adraéyu konnte förmlich spüren wie Rahela erleichtert ausatmete, doch Benwick sprach indes weiter. »Das bedeutet nicht, dass ich es guthieß, oder noch immer gutheißen würde.« Wieder sprach er ernster und wieder schien es als ob die Luft im Raum spürbar kälter geworden wäre.
Benwick erhob sich von seinem Stuhl und richtete sich dabei zu seiner vollen Größe auf. »Ich kann dir nicht vergeben, Rahela.« Mit diesen Worten wandte er sich von ihr und Adraéyu ab und zeigte ihnen die kalte Schulter. Rahela trat einen Schritt vor, als ob sie vorgehabt hätte ihn umzustimmen, doch da drehte er sich wieder zu ihnen um. Doch nun hielt er seine Streitaxt in der Hand und wog sie, als ob er daran dachte sie nach ihnen zu werfen. »Ich kann dir nicht vergeben, dass du es mir nicht persönlich gesagt hast, Neeskia!« Dieses Mal brüllte Benwick und hieb die Axt in den Stützbalken hinein. »Und dir auch nicht, Arn! Sich einfach so, klammheimlich und ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, zu verpissen ist respektlos eurem Ruka gegenüber gewesen. Und Ehrlos noch dazu!« Benwick ballte die Faust und scheuchte dann die Umstehenden, welche bislang betreten geschwiegen haben, aus der Halle. »Raus mit euch! Alle!« Und als ob sie alle nur darauf gewartet hatten, flüchteten sie alle, bis auf die Hersen, welche ihrem Ruka die ewige Treue geschworen hatten, aus der Halle. Und nun sah er sie endlich alle. Walder, Gjorden, Dagrûn, und Théon. Lauter Gesichter die Adraéyu noch kannte. Die Hersen, welche ihre Sippen des Dorfes vertraten. Doch fanden sich auch fremde Gesichter unter ihnen, die Adraéyu noch nie gesehen hatten. Sie mussten die Nachfolger derer sein, die beim Kampf gegen Hjegdan gefallen waren. Und zu guter Letzt erblickte Adraéyu auch Wheøul. Er vermochte nicht dem eisigen Blick des Berserkers Stand zu halten und wandte den Blick schließlich ab. »Wheøul hat mir aber noch ganz andere Geschichten erzählt. Und er hat sich gegrämt, dass seine Braut geflohen war, die dein Vetter ihm angedacht hatte.« Benwick trat einen Schritt auf Rahela hinzu. »Doch erkläre mir, wie konnte Kolgrim je auf den Gedanken kommen die Neeskia des Faernach-Clans vermählen zu wollen? Die Neeskia bleibt unberührt!« Erst da fiel sein Blick das erste Mal auf das kleine Bündel in Rahelas Armen. Er bedachte das Kind lange und schweigend und fast schon schien es, als ob er vergessen hätte, was er eigentlich hatte sagen wollen. Sein Blick wurde müde und schließlich lächelte er, wenn auch nur für kurz. »Er hat deine Augen, Arn.« Adraéyu nickte und auch Rahela und Benwick nickten. Doch niemand sprach ein Wort. Benwick indes wandte sich wieder von ihnen ab und sprach zu den Schatten in der Ecke. »Und mir sind Dinge zu Ohren gekommen. Dinge, die ich nicht glauben wollte. Wir fanden deinen Sippenbruder. Er war tot, von einem Pferd zu Tode getrampelt!« »Das war ich, Ruka.«, schaltete sich Adraéyu ein und trat nun seinerseits einen Schritt hervor. »Rahela hatte damit nichts zu schaffen. Mir gebührt die Strafe für den Mord an einem Angehörigen ihrer Sippe.« Da starrte Benwick Adraéyu lange an. Immer wieder wanderte sein Blick von Adraéyu zu Rahela und wieder zurück zum Zaubersänger, bis Rahela schließlich nickte und so Adraéyus Worte bestätigte. Benwicks Blick schien Bände zu sprechen. Sie konnten alles bedeuten und dabei so wenig. Staunte er dass einer wie Adraéyu einen gestandenen Mann wie Kolgrim bezwingen konnte? Nein, seit dem Angriff auf das Orklager wusste jeder, dass Adraéyu kein Schwächling war. Staunte er über die Ehrlichkeit des Barden? Oder war er einfach nur über dessen Dreistigkeit ihm ins Wort zu fallen und seine Tat vor allen einzugestehen überrascht? Was auch immer Benwick dachte, er behielt es für sich. Stattdessen war er an den stummen Walder herangetreten und hatte ihm seine Hand auf die Schulter gelegt. Für gewöhnlich war dies ein ernstzunehmendes Zeichen wenn Benwick und Walder bei einem Streit so nahe beieinander standen. Immerhin war Walder, wenn man es in den wilden Landen so nennen mochte, der Henker des Fürsten. »Walder hatte sich gegrämt, als du fort warst. Kein Wort hatte er mehr seit diesem Tag gesprochen.« Nun begann Benwick schallend zu lachen, und auch Walder lachte, wenngleich sein Lachen eher ein stummes Grinsen war als ein Lachen. Und spätestens jetzt erkannte Adraéyu, dass er einem Scherz aufgelegen war. Walder sprach nie mehr als ein Wort am Tag, darum hieß er auch der stumme Walder. Und so plötzlich wie Benwick zu Lachen begonnen hatte, war er auch schon an Rahela herangetreten und hatte seine Arme um sie geschlungen und sie fest an seine Brust gedrückt. »Es ist schön dass du wieder zu Hause bist.« »Zu Hause?«, hakte Rahela nach und Benwick nickte. »Zu Hause, unter deinesgleichen. Dorthin wo du hingehörst.« Benwick ließ von Rahela ab und reichte Adraéyu seinen Hand und als Adraéyu diese Geste entgegenete, zog er ihn ebenso an sich heran und drückte ihn an sich. »Und auch dich, Charaid! Ich habe deine obszönen Lieder vermisst!«
Benwick löste sich von den Beiden und trat wieder vor die anderen Männer. »Aber aller Freude zum Trotze müsst ihr euch für eure Verbrechen verantworten!« Seine Stimme donnerte durch die Halle und die Männer stampften, jeder ein Mal, mit dem Fuß auf den hölzernen Boden. »Ihr müsst euch für die Respektlosigkeit eurem Ruka gegenüber verantworten. Ihr müsst euch von der Feigheit, die euch anhaftet reinwaschen. Ihr müsst euch für den Mord an Kolgrim verantworten, und ihr müsst euch dafür verantworten die Euren im Stich gelassen zu haben, als sie euch am dringendsten gebraucht hatten!« Benwick wandte sich wieder an Rahela. »Rahela Norrsken, Magnusdottir. Neeskia tú Nemia Faernach. Du hast Schande über deine Sippe gebracht! Du hast die Deinen im Stich gelassen und du hast die Unberührbarkeit einer Neeskia entweiht! Du wirst dich für deine Taten verantworten!« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen wandte er sich auch schon an Adraéyu. »Arn der Barde. Zaubersänger. Charaid tú Nemia Faernach. Bru’ka tú Voruad. Du hast dem Clan Schande bereitet. Du hast einen Angehörigen der Sippe der Neeskia getötet. Du hast deinen Blutsbruder hintergangen und die Neeskia des Clans mit dir genommen und …« bei diesem Wort wurde seine Stimme besonders laut und drohend. »… du hast ihre Unberührbarkeit besudelt! Du wirst dich für deine Taten verantworten.« Adraéyu nickte betreten, und Rahela tat es ihm gleich.
Benwick entfernte sich von den beiden und nahm auf seinem Stuhl Platz. »Erwartet nun das Urteil des Rates!« Bei diesen Worten traten die Männer und Frauen hervor und bildeten einen Halbkreis um Benwick. »Männer und Frauen des Rates. Vor euch steht Rahela Norrsken, Magnusdottir, die Neeskia des Faernach-Clans. Sie hat Schande über den Clan gebracht. Sie hat den Clan verlassen, als dieser sie am dringendsten gebraucht hatte. Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!«, ertönten die Stimmen im einstimmigen Chor. »Männer und Frauen des Rates. Rahela hat Schande über ihre Sippe gebracht, indem sie den Faernach-Clan verlassen und ihren Ruka hintergangen hat. Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!«, ertönten die Stimmen erneut im Chor. »Männer und Frauen des Rates. Rahela hat die Unberührbarkeit einer Neeskia verloren und trägt ein Kind in ihren Armen, das von ihrem Blute ist! Sie hat die Götter damit erzürnt und Schande über sich und den Clan gebracht. Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!« Die Worte waren erdrückend und die Stimmen so gewaltig, dass Adraéyu bei jedem Aufschrei der Männer, und auch der alles übertönenden Stimme Dagrûns, unweigerlich zusammenzuckte. »Damit ist es entschieden!« Benwick schlug mit einer hölzernen Kugel auf den Tisch und hob dann die Hand. »Rahela Norrsken, Magnusdottir. Du wurdest einstimmig für Schuldig befunden. Wie bekennst du dich?« Sofort wandte Adraéyu seinen Blick von den Männern und Frauen des Rates ab und starrte Rahela an. Doch diese trat, würdevoll und ohne ein Anzeichen von Reue oder Furcht, vor den Rat. »Schuldig!« Ihre Stimme war klar und ruhig, als hätte sie soeben kein Todesurteil erfahren, sondern lediglich eine Ehrbezeugung für ruhmreiche Taten. »Dann erwarte mein Urteil.« Benwick bedeutete Rahela sich wieder zu entfernen und wandte sich kurzerhand Adraéyu zu. »Männer und Frauen des Rates. Vor euch steht Arn der Barde. Er ist keiner von uns und doch mein Blutsbruder. Was seine Schande nur umso schwerer wiegen lässt. Er hat Schande über den Faernach-Clan gebracht und seinen Blutbruder verraten. Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!«, ertönten die Stimmen im einstimmigen Chor. »Männer und Frauen des Rates. Arn hat einen Angehörigen der Sippe Thorren aus dem Hause Norrsken getötet. Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!« Die Stimmen waren dieses Mal sogar noch lauter als zuvor und Adraéyu lief es dabei eiskalt den Rücken herunter. Was hatte er sich nur dabei gedacht seine Tat vor allen zuzugeben? In diesem Moment war der Drang diese Halle zu verlassen und so schnell wie möglich, wie bereits vor einem Jahr, die wilden Lande zu verlassen, größer als damals schon. Doch es gab keinen Ausweg. Walder stand an der Tür und an Walder vorbeikommen zu wollen war unmöglicher als in ein Lager Orks einzudringen, sie alle zu töten und das Tor für die wilden Männer zu öffnen, damit diese das Lager stürmen konnten. »Arn hat sich an der Neeskia des Faernach-Clans versündigt. Er hat sie mit sich genommen, sie dem Clan geraubt und ihr die Unberührbarkeit gestohlen! Wie lautet euer Urteil?« »Schuldig!« Adraéyu schluckte, doch kam er nicht umhin einen sorgenvollen, wie auch ein klein wenig stolzen Blick zu Rahela und Araéhal zu werfen. Es kam sicher nicht oft vor, dass die Neeskia eines Clans der Wilden geschwängert wurde. Und schon gar nicht von einem Fremden aus fremden Landen. »Damit ist es entschieden. Arn, du bist für deine Vergehen einstimmig für Schuldig befunden worden. Wie bekennst du dich?« Adraéyu schluckte seinen Klos im Hals herunter und trat einen Schritt vor. Doch im Gegensatz zu Rahela wirkte Adraéyu alles andere als würdevoll oder erhaben. Er druckste und wechselte immer wieder fragende Blicke mit Rahela und Benwick. »Wie bekennst du dich?«, erinnerte ihn Benwick, als Adraéyu zu lange geschwiegen hatte und so schluckte Adraéyu den Klos erneut herunter und antwortete ihm mit dünner und beinahe brechender Stimme. »Schuldig?« Wieder knallte Benwick mit der Kugel auf den Tisch und seine Stimme dröhnte laut durch die Halle. »Damit ist es entschieden! Auch du wirst mein Urteil empfangen!«
Er erhob sich und trat auf die Beiden hinzu. »Morgen, zur Mittagsstunde, wird meine Vermählung sein und ihr Beide werdet die Zeugen vor dem Fünf und den Etáín sein. Du Rahela, wirst den Segen sprechen und du Arn wirst den Schwur bezeugen. Nach dem morgigen Tag werdet ihr auf mein Urteil warten, bis die Feierlichkeiten vorbei sind. Und bis dahin werdet ihr, als meine Gäste, dem Fest beiwohnen und meine Heirat mit gebührender Freude feiern!« Benwick gab Walder ein Zeichen und dieser gab nun endlich die Tür frei. »Ach ja.« Adraéyu hatte sich schon in Bewegung gesetzt, um so schnell wie möglich aus diesem Ort der Unbehaglichkeit zu entfliehen, als Benwicks Stimme ihn erneut innehalten ließ. »Eure Häuser stehen nicht mehr frei. Wie ihr sicher schon bemerkt habt, haben wir Flüchtlinge unter uns, und da wir nicht wussten ob ihr jemals wiederkehrt, wohnen die überlebenden Familien aus dem Geldren-Clan nun in euren Häusern.« Adraéyu konnte das fiese und schadenfrohe Grinsen in Benwicks Stimme geradezu heraushören, als er sie endlich in die winterliche Kälte vor der Halle entließ, wo sie schon die fröhlichen Klänge der Hochzeitsfeier empfingen…